Als erste Partei forderte die FPÖ den Lockdown. Nun will sie ihn sofort beenden. Warum? Manfred Haimbuchner, Vizeparteichef und Vizelandeshauptmann in Oberösterreich im Interview mit Iris Bonavida von der „Presse“, über einen „legistischen Saustall“ sowie Lehren aus Corona – und Ibiza.
Bald jährt sich Ibiza. Wenn Sie in einem Satz eine Lehre formulieren müssten, die die FPÖ daraus gezogen hat – welcher wäre das?
Manfred Haimbuchner: Dann würde ich eindeutig sagen, dass sich die FPÖ vom Popstarkult endgültig befreien musste und muss, um zu einer seriösen Rechtspartei zu werden.
Man könnte jetzt polemisch anmerken, dass der Popstarkult im Kleinen fortgesetzt wird – mit Herbert Kickl als Schlagerstar.
Manfred Haimbuchner: Ich glaube nicht, dass Herbert Kickl gern Schlager hört. In einer politischen Partei ist eines immer wichtig: dass es starke und stark unterschiedliche Charaktere gibt. Davon wird sich die FPÖ nicht verabschieden, das ist im politischen Diskurs auch wertvoll.
Gleichzeitig führt es zu verschiedenen Ansichten über die Richtung der FPÖ. Obmann Norbert Hofer möchte eine „staatstragende 25-Prozent-Partei“. Jetzt sind es 13 Prozent.
Manfred Haimbuchner: Na gut, da muss man die Situation genau analysieren. Epidemien mehren eher die Macht der Obrigkeiten. Das ist ein bekannter Spruch. Die Opposition leidet massiv unter den Auswirkungen der Coronapandemie. Die FPÖ muss sich auf ihre Stärken besinnen, dann kann sie wieder erfolgreich sein. Ich persönlich bin kein großer Freund der großen Wellenbewegungen.
Was meinen Sie damit?
Manfred Haimbuchner: Die Stimmenmaximierung um jeden Preis bringt Probleme, wenn man unter Umständen die gesamte Organisation nicht so mitstrukturieren kann. Aber das ist kein Phänomen der FPÖ, sondern der Politik allgemein.
Das Problem der großen Stimmenmaximierung hat die FPÖ gerade ohnehin nicht.
Manfred Haimbuchner: Je nachdem, wo man seinen Platz sieht, gibt es verschiedene Strategien. Ich habe immer gesagt: Unser Potenzial liegt zwischen 15 und 25 Prozent. Dann sind wir ein Faktor, den man nicht negieren kann. Für Oberösterreich kann uns gelingen, zweitstärkste Kraft zu sein. Jede Teilorganisation muss aber ihre Strategie wählen, da kann man nicht Äpfel und Birnen vergleichen.
Corona ist eine Ausnahmesituation, die FPÖ strauchelte aber schon zuvor. In Umfragen liegt sie bei 13 Prozent. Konnte man das Vertrauen der Wähler nicht zurückgewinnen?
Manfred Haimbuchner: Ich habe mir aus Umfragen nie etwas gemacht. Mir ist schon klar, die FPÖ liegt nicht in einem Allzeithoch. Ich bin kein Fantast, sondern absoluter Realist. Wenn man jetzt aber das Agieren der Bundesregierung betrachtet, denke ich schon, dass die FPÖ mit einem guten Programm reüssieren kann bei den kommenden Wahlen.
Auch in Wien?
Manfred Haimbuchner: Diese Wahl wird sicher ganz schwierig für die FPÖ. Das liegt an den Rahmenbedingungen insgesamt. Aber sie findet auch erst in einigen Monaten statt. Dann wird man das Ergebnis sehen.
Klubchef Herbert Kickl hat das Motto „Opposition ist Pflicht“ ausgegeben. Wie sehen Sie das, als Mitglied einer Landesregierung?
Manfred Haimbuchner: Ich bin ein Freund des Regierens, das ist allgemein bekannt. Aber wenn man sich im Bund in Opposition befindet, dann ist Opposition dort Pflicht. Man muss das tun, wofür man gewählt wurde. Das Ergebnis bei der letzten Nationalratswahl war ja kein Auftrag zur Regierungsbildung.
Die FPÖ hat eine „Allianz gegen den Coronawahnsinn“ gestartet und will das „System in Österreich hochfahren“. Sie auch?
Manfred Haimbuchner: Es führt nichts daran vorbei, sich vom Lockdown so schnell wie möglich zu verabschieden. Ich habe Verständnis dafür gehabt, dass man am Beginn rigide Maßnahmen gesetzt hat. Nicht umsonst war die FPÖ die erste Partei, die das gefordert hat. Nun ist die Situation aber eine andere. Es geht darum, die Wirtschaft wieder zur Gänze hochzufahren. Sonst endet es in einer Katastrophe. Die FPÖ war zu einem Schulterschluss bereit, dann hat die Regierung unsere Unterstützung unmöglich gemacht. Mit Angst als Politikmittel, und dann hat man auch einen rechtsstaatlichen Saustall hinterlassen . . .
Ich nehme an, Sie meinen die Verordnung des Gesundheitsministeriums und die Debatte, ob private Treffen erlaubt waren.
Manfred Haimbuchner: Zum Beispiel. Oder das geplante Besuchsverbot von Kindern für getrennt lebende Eltern. Das ist alles eine extrem schlampige Legistik, bei der jedem Juristen schlecht wird. Auch in einer Pandemie muss der Rechtsstaat gelten.
Glauben Sie, dass es Ex-Ministerin Beate Hartinger-Klein besser gemeistert hätte?
Manfred Haimbuchner: Ich glaube vor allem, dass sie bei verschiedenen Maßnahmen in der Luft zerrissen worden wäre.
Sie sagten zuletzt: „Wir dürfen uns durch die erfreuliche Entwicklung der Infektionszahlen nicht in falscher Sicherheit wiegen lassen, da die Gefahr einer zweiten Erkrankungswelle Experten zufolge nach wie vor real ist.“ Demnach müsste man mit dem sofortigen Ende des Lockdowns warten, oder?
Manfred Haimbuchner: Ich habe das vor einiger Zeit gesagt. Mittlerweile wissen wir, wie gering die Infektionszahlen sind. Es ist notwendig, die Situation täglich zu analysieren. Die Zahlen lassen es zu, dass man die rigiden Maßnahmen einfach beendet – von heute auf morgen. Von einer zweiten Welle spreche ich gar nicht, weil die erste Welle in der angekündigten Dimension nicht stattgefunden hat.
Experten sagen, dass es sehr gefährlich wäre, das System jetzt gleich hochzufahren und warnen vor massiven Auswirkungen.
Manfred Haimbuchner: Expertenmeinungen muss man kritisch würdigen. Am 31. Dezember hat China die besorgniserregenden Vorfälle in Wuhan an die WHO gemeldet. Und was haben die Experten in Europa gemacht? Nichts. Da haben Institutionen und Experten versagt.
Sie haben selbst angesprochen, wie schnell sich der Wissensstand ändert. Das gilt auch für die Wissenschaft. Und es gibt keinen prominenten Experten, der ein sofortiges Ende des Lockdowns empfiehlt.
Manfred Haimbuchner: Menschen in Altenheimen oder chronisch Kranke müssen natürlich geschützt werden. Aber Risikogruppen zu schützen schließt nicht aus, die Wirtschaft wieder hochzufahren. Und warum man Kindergärten, Schulen und Unis nicht uneingeschränkt öffnet, verstehe ich auch nicht. Experten sagen, solang es keinen Impfstoff und Herdenimmunität gibt, wird es so weiter laufen. Aber dann haben wir die Problematik noch ein Jahrzehnt, das zieht ja auch negative Folgen mit sich.
Sie sind also wie die Bundes-FPÖ daür, sich am schwedischen Modell zu orientieren?
Manfred Haimbuchner: Ich will mich persönlich gar nicht mit dem schwedischen Modell näher auseinandersetzen. Für mich bedeuten die aktuellen Zahlen: Wir haben derzeit keine Probleme im Gesundheitswesen. Sollte sich eine andere Situation ergeben, dann wird man die neu bewerten. Aber mit Verlaub: Wenn das Land wirtschaftlich komplett gegen die Wand gefahren wird, werden wir uns auch kein Gesundheitssystem leisten können, das uns vor Krankheiten schützt.
Aber verstehen Sie die Verwunderung darüber, dass die FPÖ am 13. März noch den totalen Lockdown gefordert hat und nun das System sofort wieder hochfahren will?
Manfred Haimbuchner: Die Situation lässt das Hochfahren der Wirtschaft zu. Das bestätigt ja auch das First-Mover-Argument. Wir waren die erste Partei, die im Februar Grenzschließungen gefordert hat. Da hat man noch gesagt, das bringt alles nichts. Wir waren einen Schritt voraus.
Sind Sie auch dafür, die Grenzen zu öffnen – zum Beispiel nach Deutschland?
Manfred Haimbuchner: Für den Austausch der Waren ist es unbedingt notwendig. Ich denke, dass man die Grenzschließungen in dieser Art und Weise wieder beenden kann, weil die Infektionszahlen auch hier rigide Maßnahmen nicht rechtfertigen.
Wer hätte gedacht, dass die FPÖ einmal für offene Grenzen ist. Und die Grünen nicht.
Manfred Haimbuchner: Ich persönlich befinde mich nicht in einer Schwarz-Weiß-Argumentation. Bei offenen Grenzen für Mitarbeiter von österreichischen Unternehmen hat es in der FPÖ nie eine Diskussion gegeben. Man hätte eher die Grenzen für diejenigen schließen sollen, die Kriminalität ins Land gebracht haben.
Die FPÖ fordert einen 1000-Euro-Gutschein für Staatsbürger jeden Alters. Sie auch?
Manfred Haimbuchner: Mir persönlich ist jedes Instrumentarium Recht, das die Kaufkraft stärkt. Nachhaltiger wirksam wird eine massive Steuerreform sein, die den Faktor Arbeit entlastet. Damit wäre man auch von der Werkbank China unabhängiger. Diese Chance könnte man nutzen. Wir starten deswegen auch die Kampagne „Österreich entfesseln“.
Sie haben, wie andere Regierende, einen Teil Ihres Gehalts im Zuge der Coronakrise gespendet. Der Freiheitliche Udo Landbauer nannte das eine „reinste Polit-Show“.
Manfred Haimbuchner: Spenden sind eine höchstpersönliche Entscheidung. Jeder soll es handhaben, wie er will. Grundsätzlich halte ich von großen Geldverteilaktionen durch die Politik nichts. Ich habe aber immer schon gespendet.
Sie haben Ihr Gehalt jenem Verein gespendet, in dem Ihre Frau Kassierin ist.
Manfred Haimbuchner: Obfrau ist sie auch!
Ist das die richtige Optik?
Manfred Haimbuchner: Erstens ist es meine private Entscheidung, zweitens unterstützt der Verein Kinder, die jetzt zur Risikogruppe gehören. Als Freiheitlicher kannst du es niemandem recht machen, nicht einmal, wenn man schwer kranken Kindern etwas zukommen lässt.
Schließen wir mit einer Lehre: Welche ziehen Sie, gesellschaftlich, aus Corona?
Manfred Haimbuchner: Österreich und Europa brauchen mehr Autarkie. Gesellschaftspolitisch müssen wir Organisationen stärken, die uns in Krisenzeiten schützen – wie das Bundesheer.
Das Interview ist am 2. Mai 2020 in der Tageszeitung „Die Presse“ erschienen.